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Nachhaltigkeit/07.07.2023

Schluss mit Wachstum? Wie Degrowth im Sport gelingen kann

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Blechlawinen statt Schnee. Warteschlangen am Mount Everest. Gigantismus bei Events. Ist die alte Formel des Sports „Höher, schneller, weiter“ im Angesicht der Klimakrise noch zeitgemäß? Warum wir die grundlegende Bedeutung des Sports in unserer Gesellschaft überdenken sollten. Und wie uns der Degrowth-Gedanke dabei hilft.

Leere Gasflaschen stapeln sich zwischen Felsbrocken, bunte Fetzen von zerrissenen Zelten flattern durch die eiskalte Luft: Willkommen im Naturparadies Himalaya! 2023 bricht der Tourismus am Mount Everest Rekorde. Nie wollten mehr Menschen aufsteigen. Das Basislager in 5.300 Meter Höhe wirkt zur Hochsaison wie eine trubelige Kleinstadt aus bunten Zelten, nur ohne Müllabfuhr. Die Bilder der Warteschlange am höchsten Gipfel der Erde gingen um die Welt – und sind am Everest heute genauso Normalität wie in den Alpen. Dort befriedigen Trendsportarten wie Trailrunning, Canyoning, Downhill-Racing oder Nachtbiken die Sensation Seeker.

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Sensation Seeking: Belastungsgrenzen für Mensch und Umwelt

Mithilfe innovativer technischer Ausrüstung können inzwischen auch ungeübte Outdoorfans die abgelegensten Wälder, höchsten Gipfel und tiefsten Bergtäler erobern. Währenddessen erfahren Sommerrodelbahnen, Klettergärten, Paragliding, Ziplining & Co. einen wahren Ausbauboom. Und jedes Jahr kommen neue Adventure Sports, neue Nervenkitzel hinzu. Doch die Jagd nach Extremen erscheint angesichts der Klimakrise alles andere als zeitgemäß. Der Adrenalinkick geht auf Kosten der natürlichen Bewohner des Waldes. Aber auch Freizeit- und Gelegenheitssportler hinterlassen Spuren. Selbst Wandern als „sanfter Natursport“ verursacht ökologische Schäden, wenn Karawanen von Menschen unterwegs sind, Müll in der Natur zurückbleibt und Sportler*innen mit dem PKW anreisen. 

Mobilität verursacht den größten Schaden – auch im Sport  

Ob zu internationalen Meisterschaften und Bundesligaspielen oder in den Skiurlaub – den größten Posten in der Klimabilanz nimmt die Anreise ein. „In puncto Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung ist die Fanmobilität (mit 60 bis 70 %) der größte Faktor“, berichtet Prof. Torsten Weber, Experte für Nachhaltigkeitsmanagement im Gespräch mit Sky Sport. In den bayerischen Alpen ist es der explosionsartige Anstieg der autofahrenden Tagestouristen, die der Region zu schaffen machen. Doch die Nachfrage wird durch die Erschließung neuer Gebiete, durch neue Infrastrukturen sowie den Ausbau der Parkplatzkapazitäten weiter gesteigert. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Und es stellt sich die Frage, ob die gewinn- und ergebnisorientierte Sportbranche und Nachhaltigkeit überhaupt vereinbar sind.

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Photos of Korea/unsplash

Olympia und die Abwärtsspirale bei der Nachhaltigkeit 

Seitdem der (Spitzen-)Sport global geworden ist, gehört er zu den wettbewerbsstärksten und am schnellsten beschleunigenden Subsystemen unserer Wirtschaft. Das gestiegene Interesse an sportlichen Mega-Events wie den Olympischen Spielen sowie Welt- und Europameisterschaften hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt: Reisen, Warentransporte und Konsum bündeln sich in kürzester Zeit auf kleinstem Raum und überlasten die lokalen Ökosysteme der Austragungsorte. Der Sport ist ein fruchtbares Feld, um Profit zu machen. Gleichzeitig ist er auf immer mehr Ressourcen, eine gewaltige Infrastruktur, Giga-Merchandising und Massentourismus angewiesen. Bestes Beispiel sind die Olympischen Spiele.

Sie stehen wie kein anderes Event für sportliche Höchstleistungen, große Rekorde, noch größere Emotionen. Doch das Motto "Höher, schneller, weiter" gilt genauso für den Sportstättenbau, die Fanmobilität, die Kosten und die Emissionen. In den letzten Jahrzehnten haben Größe und Komplexität der Olympischen Spiele drastisch zugelegt: Der Preis der Ausrichtung stieg auf 156 % des ursprünglich veranschlagten Budgets. Eine wissenschaftliche Analyse der Olympischen Spiele zwischen 1992 und 2020 zeigt leider auch: Im Verlauf über drei Jahrzehnte zeigt der Trend in Sachen Nachhaltigkeit deutlich nach unten. Den letzten Rang belegen die Winterspiele in Sotchi 2014, Schlusslicht bei den Sommerspielen ist Rio de Janeiro 2016. Nicht zuletzt aufgrund der fehlenden sozialen Nachhaltigkeit. Die Entscheidungsträger stehen nun vor der Frage, wie die Zukunft der Veranstaltung aussehen könnte.

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Degrowth: Ungesundem Wachstum einen Riegel vorschieben 

Angesichts der aktuellen Tendenzen liegt die Vermutung nahe, dass sich der Sport nur durch ein „Gesundschrumpfen“ nachhaltiger gestalten lässt – ganz im Sinne des Degrowth-Gedanken. Dieser beschreibt die Idee eines nachhaltigen Wachstumsrückgangs: Die Verringerung von materiellem Konsum und Produktion, hin zur Stabilisierung eines gesunden gesellschaftlichen Durchsatzes. Giorgos Kallis, ökologischer Ökonom, Forschungsprofessor und einer der Hauptvertreter der Degrowth-Bewegung, bezeichnet Degrowth als einen positiven kulturellen und politischen Wandel, mit dem Anspruch, „eine Gesellschaft aufzubauen, die mit weniger besser lebt“. Es gehe darum, Institutionen zu ändern, die allein das Bruttoinlandsprodukt zum Ziel unserer Gesellschaft machen – auch in unseren Köpfen. Ein Wandel, der zugleich einen Gewinn an ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und Wohlbefinden nach sich ziehe. Außerdem betont Kallis, dass „große gesellschaftliche Veränderungen nicht dadurch stattfinden, dass man sich an die Machthaber wendet, sondern durch Bewegungen von unten nach oben“, welche etablierte Denkmuster infrage stellen. Doch was bedeutet Degrowth für unseren Freizeitsport oder die sportlichen Mega-Events?

Degrowth im Sport: Ansätze aus der Forschung

Die ökologische Ökonomin und Moderatorin des Podcasts Economics for Rebels Dr. Alexandra Köves und Attila Szathmári, BWL-Doktorand und Kommentator bei Eurosport, haben den Degrowth-Gedanken auf die Welt des Sports ausgeweitet: In ihrer Forschungsarbeit „The vision of sustainable sport in a backcasting Research" (Economy & Society, 2021) haben sie Ansätze ausgearbeitet, wie nachhaltiger Sport für eine Gruppe von Stakeholdern in der Sportökonomie aussehen könnte.

Drei Beispiele, die sowohl auf die ökologische als auch auf die soziale Nachhaltigkeit einzahlen: 

  1. Das Sharing-Konzept 
    „Sharing Economy“ wurde als besonders relevant für den Sportsektor betrachtet: Durch die Einrichtung von Verteilungszentren für Sportgeräte, Gemeinschaftseigentum und Mietoptionen können Equipment und sportlichen Aktivitäten flexibel und uneingeschränkt verfügbar gemacht werden. Den Teilnehmenden zufolge kann so das höchste Ideal des Sports, das menschliche Können, in den Mittelpunkt rücken und nicht die eingeschränkte Zugänglichkeit, eine Ausrüstung zu besitzen. Zudem müsste diese bei internationalen Wettkämpfen nicht um die ganze Welt transportiert werden.
     
  2. Multifunktionalität der Sportinfrastruktur
    Auf die gemeinsame Nutzung von Ressourcen zielt ebenfalls die Idee, die Sportinfrastruktur multifunktional zu nutzen: Einrichtungen mit flexibler Kapazität, die entsprechend den Bedürfnissen (z. B. von Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Älteren oder Kleinkindern) und je nach Zuschauerzahl gestaltet werden können. Gleichzeitig eignen sie sich für die Organisation verschiedener Sport- und anderer Kulturveranstaltungen.
     
  3. Nachhaltigere Veranstaltungsorganisation
    Die Entscheidung darüber, ob und wie eine (globale) Sportveranstaltung durchgeführt wird, sollte auf dem ökologischen Fußabdruck der Organisation basieren, welche genau berechnet werden müsste. Als Beispiel nennen sie die Olympischen Spiele, die regional in einer Reihe kleinerer Veranstaltungen organisiert werden könnten, oder – als fiktive Option – eine „mobile Olympiastadt“ zu nutzen, die keine extremen infrastrukturellen Investitionen erfordert.

Startschuss für nachhaltigere Sportveranstaltungen in Deutschland

Was alle Ansätze gemein haben: Um ökologisch als auch sozial nachhaltig zu werden, muss sich die Art und Weise, wie wir Sport organisieren, ausüben oder konsumieren ändern. Das haben sich auch das deutsche Innenministerium und das Umweltministerium auf die Fahne geschrieben: In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Olympischen Sportbund, der Deutschen Sporthochschule Köln und dem Öko-Institut ging im November 2022 das Projekt "Auf dem Weg zu nachhaltigen Sport(groß)veranstaltungen in Deutschland" an den Start. Ziel ist, konkrete Standards und Empfehlungen für nachhaltige und wertebezogene Sportveranstaltungen zu entwickeln. Verbänden, Veranstaltern von großen wie von kleinen Sportveranstaltungen sollen klare Handlungsgrundlagen an die Hand gegeben werden.

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Reichweiten und Chancen des Sports nutzen

Stefan Wagner, Vorsitzender Sports For Future, erklärt im Interview mit Sky Sport: „Ich glaube, dass die ökonomische Zukunftsfähigkeit des Sports davon abhängt, inwieweit er sich den Nachhaltigkeitsthemen und insbesondere den ökologischen Themen widmet.“ Dass in der Basketballbundesliga, der DFL und der DEL Nachhaltigkeit bereits Teil der Lizensierungskriterien ist, sei vorbildlich. Außerdem habe es der Sport einfach, Reichweiten zu schaffen. Er emotionalisiert und verbindet Menschen. Zum Beispiel durch „High Impact Athletes“ – Spitzensportler*innen, die sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Agenda geschrieben haben und als Multiplikator dienen. Darum lobt Wagner den mehrfachen Formel1-Weltmeister Sebastian Vettel, der ein gutes Beispiel für den Zwiespalt sei, in dem der Sport steckt: „Er äußert sich sehr klar, in einem Sport, der vordergründig natürlich erstmal nicht für Nachhaltigkeit steht. Und macht sich damit angreifbar.“ Trotzdem engagiere er sich und zeige, „dass wir nicht so viel Angst vor Kritik haben, sondern offen mit der Situation umgehen sollten.“ 

Degrowth-Gedanke muss den Mainstream erreichen

Und was können Freizeitsportler*innen tun, um übermäßigem Ressourcenverbrauch im Sport entgegenzuwirken? Sicher kann man wie Sebastian Vettel Sportarten den Rücken kehren, in denen offensichtlich hohe Emissionen anfallen – wie dem Motorsport. Aber auch Golfen und Skifahren belasten die Umwelt: einerseits durch die Rodung der Flächen, anderseits durch das Bewässern der Grünanlagen bzw. die künstliche Beschneiung der Pisten. Eine Lösung wäre, auf sportliche Aktivitäten mit vergleichsweise geringem Impact umzusteigen. Doch viele Branchen haben die Zeichen der Zeit längst erkannt und bemühen sich um größtmögliche Naturverträglichkeit ihrer Angebote, z. B. über „Sanften Tourismus“ bzw. „Ökotourismus“. 

Umweltbewussteres Golfen ist auf Naturgolfplätzen möglich. Nachhaltige Skigebiete verzichten auf künstlich präparierte Pisten und nutzen regenerative Energien. Wanderbegeisterte und Mountainbiker können bestehende Trail- und Wanderwegnetze nutzen, statt immer neue Wege zu erschließen. Um dem Ausbauboom für erlebnishungrige Alpentouristen entgegenzuwirken, hat z. B. der BUND Naturschutz (BN) umfangreiche Vorschläge für die Erhaltung der sensiblen Berglandschaft vorlegt. Wer auf kleine, regionale Gebiete abseits der Hauptsaison ausweicht, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist und Kurztrips durch längere Aufenthalte in nachhaltigen Unterkünften ersetzt, kann seinen Teil dazu beitragen.

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Brandon Williams/unsplash

Kleiner, regionaler, flexibler

Schon lange empfehlen Experten, Mega-Events wie die Olympischen Spiele drastisch zu verkleinern und flexibler zu werden. Vor allem gilt es, dem Gigantismus entgegenzuwirken, „weiße Elefanten“ zu vermeiden. Sportveranstaltungen sollten sich vielmehr an die Region und an vorhandene Infrastrukturen anpassen – nicht umgekehrt. Aber auch im Privaten kann jede/r von uns nachhaltiger und bedachter Sport treiben und konsumieren. Denn um den (sozialen) Wandel herbeizuführen und festgefahrene Strukturen zu lösen, braucht es auch kraftvolle Bewegungen von unten. Hier entfaltet sich das Potenzial jedes Einzelnen, egal, ob wir im heimischen Wald oder im Himalaya den Adrenalinkick suchen. Und vielleicht ist es an der Zeit, die alte Formel „Höher, schneller, weiter“ zu modifizieren – in: kleiner, regionaler, flexibler. 

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