Richard Cotter blickt auf eine breitgefächerte, hochkarätige Laufbahn zurück: Als Profisportler, Elite-Leistungstrainer, erfolgreicher Geschäftsmann, Höhenbergsteiger und Unternehmer hat er einen enormen Erfahrungsschatz angesammelt und kann so einmalige Einblicke und Know-How bieten.
Cotter war in höchsten Führungspositionen innerhalb und außerhalb der Outdoor-Branche tätig. Unter anderem als Director von Head Sports, Geschäftsführer von AMG Outdoor, Managing Director der Brasher Boot Company, Global Brand President von Berghaus Ltd. und CEO der Snow & Rock Group.
Seit 2015 ist Richard Cotter Chairman und CEO der Fresh Oxygen Group, einem Strategieberatungsunternehmen, spezialisiert auf rasche Performance-Verbesserung von verbraucherorientierten Marken-, Einzelhandels- und E-Commerce-Unternehmen. Er ist außerdem Chairman von Outdoor Holdings GP - der Holdinggesellschaft der Jack Wolfskin-Gruppe. Von Juli 2017 bis Anfang 2019 war er als Chairman der Jack Wolfskin KGgA tätig. In dieser Zeit, sagt Cotter, hat er das Unternehmen durch den Umstrukturierungsprozess begleitet und war zudem signifikant in den Abschluss des Verkaufs von JWG an Callaway Golf Inc. im Jahr 2019 involviert.
2017 schrieb er seinen Bestseller „Zebra Reality“. Im Fokus: das Erschaffen einer unaufhaltsamen organisatorischen Dynamik und das Erreichen von Geschäftszielen. Wie das funktioniert, was eine klare Strategie ausmacht, warum Mitarbeiterengagement für Erfolg unabdingbar ist und was eine gute Führungspersönlichkeit ausmacht - gerade auch zu COVID19-Zeiten, verrät er ISPO.com im Interview.
ISPO.com: Herr Cotter, ihr Buch heißt “The Zebra Reality” Warum? Und was hat das mit Erfolg zu tun?
Richard Cotter: Wenn Sie in irgendein Unternehmen auf der Welt gehen und 100 Mitarbeitern ein Bild von einem Zebra zeigen und fragen, was es ist, werden 100 sagen: „Es ist ein Zebra“. Wenn Sie dieselben 100 Mitarbeiter fragen, was das Unternehmen zu erreichen versucht, werden Sie wahrscheinlich 100 verschiedene Antworten erhalten.
Das nenne ich ‘The Zebra Reality’…..Wenn es nicht gelingt, bei allen 100 Mitarbeiter ein klares, einheitliches und übereinstimmendes Verständnis der Unternehmensziele zu schaffen, ist das die Garantie, dass Sie Ihre Möglichkeit nicht voll nutzen, Ihre Ziele nicht erreichen oder einfach in einem „Ozean der Mittelmäßigkeit“ schwimmen müssen.
In der heutigen Zeit müssen Geschäftsführer in der Lage sein auszugleichen: im Hier und Jetzt agieren, aber auch die Fähigkeit besitzen, vorausschauend zu denken, um zu erkennen, wie die Zukunft aussehen muss. Es muss ein Unternehmen geschaffen werden, in der Unternehmensausrichtung und das Mitarbeiter-Engagement die beiden treibenden Kräfte sind.
Wie kann diese klare Vision, dieses klare Verständnis bei jedem Mitarbeiter im Unternehmen geschaffen werden?
Ich denke zuallererst ist eine sehr klare Strategie und das Verständnis der Existenzberechtigung am Markt notwendig. Das klingt einfach, aber ich bin erschüttert über die Anzahl der Unternehmen, die sich nicht eindeutig positionieren oder die eine schwammige und unklar definierte Strategie haben. Sicher, sie glauben eine Strategie zu haben – stellt man sie auf die Probe, merkt man schnell, dass es sich eher um eine Wunschliste handelt.
Eine Frage, die ich daraus entwickelt habe und mein Ausgangspunkt bei jedem Unternehmen ist: „Was tun wir, was unsere Kunden nirgendwo anders bekommen könnten, wenn es uns nicht gäbe?“ Wenn Sie eine überzeugende Antwort auf diese Frage haben, ist das der Start für den Aufbau einer klar differenzierten Strategie und Positionierung.
Im zweiten Schritt geht es darum sicherzustellen, dass Ihre drei wertvollen Ressourcen direkt auf die strategische Absicht ausgerichtet sind. Sie haben:
- menschliche Ressourcen
- materielle Ressourcen
- finanzielle Ressourcen
Wenn diese Drei auf die Realisierung der Kernziele ausgerichtet sind, eine stärkere Differenzierung vorantreiben und die größten Chancen erfolgreich ergreifen, werden Sie eine große Kraft aufbauen, die schwer zu stoppen ist.
Im dritten Schritt sehe ich viele Unternehmen stolpern und fallen. Obwohl sie die ersten beiden Phasen (Strategie und Ausrichtung) erfolgreich abgeschlossen haben, vernachlässigen sie im letzten Schritt die Mitarbeiter direkt abzuholen und zu motivieren.
Es reicht nicht aus, ein Leitbild an der Wand und einige Werte hinter dem Empfangstresen zu haben - Mitarbeiter-Engagement ist eine alltägliche Sache. Es sollte für Geschäfts- und Teamleiter höchste Priorität haben – und doch konzentrieren sie sich immer mehr auf Leistung und weniger auf Engagement.
Was ist der Schlüssel für Mitarbeiter-Engagement?
Der Schlüssel ist die Kommunikation! Doch nur selten investieren Führungskräfte in ihren eigenen Stil und ihre Fähigkeiten als Kommunikator. Die Kernbotschaften einheitlich und konsequent zu verstärken ist wichtig:
Diese müssen
- sich auf Kunden- und Marktkenntnisse stützen
- in einer klaren Geschäftslogik verankert sein
- leicht im Kopf bleiben bzw. eingängig sein
- sollten ganz simpel die Vision, den Zweck und die Ambition des Unternehmens ausdrücken
Es gilt zu inspirieren und die Herzen und Köpfe der Mitarbeiter für sich gewinnen. Die Botschaften müssen mitreißen und mit Empathie kommuniziert werden. Man muss ein Mensch auf Augenhöhe sein, der eine fesselnde Geschichte erzählt: spannend, greifbar und doch irgendwie unerreichbar. Vor allem muss ein starker Fokus auf dem "Warum" liegen.
Mitarbeiter wollen Teil von etwas sein, an das sie glauben und mit dem sie sich identifizieren können. Sie wollen stolz sein, sie wollen an den Sinn und Zweck glauben etwas Großes zu schaffen und zu hinterlassen. Wenn Sie all dies erreichen, werden Sie in Ihrem gesamten Unternehmen eine erstaunliche Dynamik erzeugen. Die Magie der Dynamik, die Sie vorantreiben wird, um all Ihre Ziele und Ambitionen zu erreichen.
Das ist die Theorie – aber wie kann sie erfolgreich im Alltag umgesetzt werden?
Ich sehe so viele Führungskräfte, die es gewohnt sind, ein Unternehmen zu managen, anstatt es zu leiten.
Management ist ein Reihe an Prozessen, die eine Organisation am Laufen halten. Sie sorgen dafür, dass das Unternehmen heute funktioniert und die Quartalszahlen erreicht werden. Bei Prozessen geht es um Planung, Budgets, Personalbesetzung, Output und Leistungsmessung. Meiner Erfahrung nach kommen motivierte und hoch engagierte Mitarbeiter nicht zur Arbeit, um Teil eines Prozesses zu sein!
Beim Thema Führung geht es um Veränderung, es geht darum, die Mitarbeiter auf die Vision „auszurichten“, Identifikation, Motivation und Inspiration zu schaffen.
Fragen Sie sich selbst als Führungskraft: „Wie viel Zeit verbringe ich mit der Leitung des Unternehmens und wie viel Zeit verbringe ich mit der Führung des Unternehmens?“ Wer mutig genug ist, ehrlich zu antworten, und zuversichtlich genug ist, sich zu ändern, wird in seiner Organisation eine unglaubliche Kraft freisetzen.
Sie vergleichen Unternehmensziele/persönliche Ziele mit der Besteigung von Berggipfeln. Inwieweit lässt sich der Vergleich auf ein Unternehmen herunterbrechen?
Meiner Erfahrung nach gibt es erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen dem Streben nach Unternehmenserfolg und dem Besteigen großer Berge. In beiden Fällen versucht man die maximale Leistung aus sich heraus zu holen.
1# Ausgangspunkt ist ein klares Ziel oder der Anspruch, den Gipfel zu erreichen, der Beste, der Größte, der Rentabelste zu sein – oder was auch immer das Unternehmensziel ist. Manchmal können Sie Ihr Ziel von dort wo sie stehen sehen, manchmal müssen Sie es sich außerhalb Ihres Blickfeldes vorstellen.
2# Als nächstes brauchen Sie einen klaren Plan und eine robuste Strategie. Beim Bergsteigen wählen Sie Ihre Route, legen die Lager fest und finden heraus, welche Vorräte und Fähigkeiten Sie zum Erreichen des Gipfels benötigen. Machen Sie im Geschäftsleben nicht genau dasselbe? Sie erstellen Ihren Businessplan, legen den Zeitplan und die Zwischenziele fest. Sie planen, wie Sie Ihre kostbaren Ressourcen nutzen können, ähnlich wie ein Expeditionsleiter seine Bergsteiger, seine Verpflegung und seine Ausrüstung einsetzen wird, um die größtmögliche Wahrscheinlichkeit herzustellen, den Gipfel zu erreichen.
3# Irgendwann entlang der Strecke geht etwas schief: Das Wetter ändert sich, die Bedingungen verschlechtern sich, die Ressourcen gehen zur Neige. Sie müssen die Richtung ändern, einige Meter wieder absteigen, den Zeitplan neu definieren, neue Lager errichten, lernen, mit den Widrigkeiten und den dunklen Nächten umzugehen. In der Geschäftswelt verläuft es ähnlich: die besten Pläne gehen schief, externe Faktoren beeinflussen die Strategie, Ressourcen oder Entwicklungen dauern länger als erwartet oder erfordern neue Fähigkeiten oder eine neue Finanzierung. In der Geschäftswelt nenne ich dies „die schwierige Mitte“, und nach meiner Erfahrung wird die Art und Weise, wie ein Unternehmen mit der schwierigen Mitte umgeht, darüber entscheiden, ob es seine Ziele erfolgreich erreicht oder nicht. In ähnlicher Weise wird die Art und Weise, wie eine Expedition mit den Widrigkeiten des Berges umgeht, darüber entscheiden, ob sie den Gipfel erreicht oder nicht.
4# Zudem brauchen große Expeditionen Engagement, Motivation und Dynamik... den Antrieb, weiterzumachen, ein Team aufzubauen, das aneinander glaubt. Das mit Widrigkeiten umgehen kann und stärker zurückkommt. Das aufsteht, wenn es leichter wäre, sitzen zu bleiben… Dieses Gefühl haben alle Bergsteiger erlebt.
Gleichermaßen brauchen Unternehmen Engagement, Motivation und Dynamik... all dies entsteht durch das Verfolgen eines gemeinsamen Ziels, durch eine emotionale Identifikation mit den Unternehmensziele, bei dem es mehr um das „Warum” und weniger um das „Was“ gehen muss. Erfolgreiche Bergsteiger klettern, weil es ein großartiges Gefühl erzeugt, nicht wegen dem, was sie dafür bekommen können. Engagierte Mitarbeiter hängen sich wegen dem, was sie Erschaffen können, voll rein – nicht wegen dem, was sie verdienen können.
Was zeichnet eine wirklich erfolgreiche Führungspersönlichkeit aus - auch im Hinblick auf die gegenwärtige, die ganze Welt betreffende COVID-19 Situation?
Ich glaube, dass die besten Führungskräfte diejenigen sind, die sich auf „Mehrwert, statt Arbeit schaffen" konzentrieren. Damit meine ich, dass man sich als wirklich gute Führungspersönlichkeit bewusst sein muss, dass es nicht Ihre Aufgabe ist, jede Entscheidung zu treffen; ich würde sogar behaupten, dass die besten Führungskräfte eigentlich gar keine Entscheidungen treffen.
Sie fördern eine Kultur, in der die Führungskraft für alle ihre Mitarbeiter arbeitet und nicht andersherum. Die Aufgabe der Führungskraft besteht darin, nach den besten Talenten zu suchen und sie zu motivieren, dem Team beizutreten, sich auf Strategie, Kollegen, Ausrichtung, Kultur, Kommunikation und vor allem auf das Stakeholder-Management zu konzentrieren.
In unserer Welt mit COVID19 ist dies meiner Meinung nach wichtiger denn je. Die Aufgabe der Führung besteht jetzt darin
- Vertrauen auf- und auszubauen,
- mit Klarheit und Überzeugung zu kommunizieren,
- sichtbar und glaubwürdig zu sein.
Die Herausforderungen sind real und unmittelbar, Sie müssen sich auf die großen Ziele konzentrieren. Sie müssen mutig und entschlossen sein, Sie müssen Ihr Geld bedacht einsetzen, aber mehr als alles andere müssen Sie bereit sein, Veränderung herbeizuführen und sich anzupassen. Ich liebe folgendes Zitat von Charles Darwin: „Es ist nicht der Stärkste der Spezies, der überlebt, auch nicht der Intelligenteste. Es ist diejenige Spezies, die am anpassungsfähigsten auf Veränderungen reagiert.“
Umgeben Sie sich mit smarteren Leuten und Sie müssen selbst keine Entscheidungen treffen. Aber: wichtig ist sicherzustellen, dass jeder im Unternehmen weiß, welche Rolle er spielen muss, um schwierige Zeiten zu überstehen. Mobilisieren und motivieren Sie das Unternehmen, die „schwierige Mitte“ zu meistern.
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