Die oscarprämierte Doku „Free Solo“ begleitet den Ausnahmekletterer Alex Honnold bei einer seiner größten Herausforderungen: Er erklimmt den mächtigen Granitfelsen El Capitan im Yosemite-Nationalpark ohne jegliche Absicherung oder Hilfsmittel – und wagt damit ein tödliches Risiko.
Wir bekommen Einblicke in all die mentalen und psychischen Anstrengungen, die der damals 33-Jährige Honnold beim Free-Solo-Klettern zu meistern hat. Seine Kletterpassion beschreibt der US-Amerikaner als mentales Spiel: „Es geht darum, deine Ängste zu verstehen und zu kontrollieren, damit sie dich nicht beherrschen! Du musst lernen, Vertrauen in deine Fähigkeiten zu haben und dich auf das zu konzentrieren, was du kontrollieren kannst.“
Honnold spricht von einer Fähigkeit, auf die der italienische Fußballstar Roberto Baggio im WM-Finale 1994 gegen Brasilien offenbar nicht zurückgreifen konnte. Baggio schoss seinen entscheidenden Elfmeter grotesk weit am Tor vorbei, sein Gesicht erstarrte in Leere und Frust. Dieser Moment des Scheiterns manifestierte sich als ikonisches Bild im kollektiven Sportgedächtnis („the man who died standing“). Es ist ein Symbol für den Moment, in dem der Druck am größten ist und ein Athlet die Chance hat, sein Team zum Sieg zu führen – aber die Nerven nicht mitspielen.
Die Geschichte des Sports kennt viele Sportler*innen, die in entscheidenden Momenten scheiterten – oder aber in genau dann über sich hinauswuchsen. Wie können sich Athlet*innen vor großen Herausforderungen mental so vorbereiten, dass sie nicht vor dem Moment erstarren?
Eine Möglichkeit sind Selbstgespräche, sagt der sportpsychologische Berater Thorsten Loch. „Man kann dadurch seine Handlungen unterstützen, eine Bedrohung wird so zur Herausforderung.” Viele Sportler*innen könnten ihm zwar sagen, wie es sich bei ihnen anfühlt, wenn es bei ihnen in bestimmten Momenten nicht läuft, sie erleben dann eine Art Hilflosigkeit im Wettkampf. Aber im Gegenzug können sie nicht artikulieren, wie es sich idealerweise anfühlen sollte, damit sie im Flow sind und bleiben.
Deshalb geht es zunächst darum zu erarbeiten, wie man diesen idealen Zustand definiert, der einen zur Topleistung bringt. Nur dann wird man in der Lage sein, ihn bei Bedarf abrufen zu können. „Das kann zum Beispiel über eine Visualisierung gelingen, ein ganz bestimmtes Bild“, erklärt Thorsten Loch. Wenn es darauf ankommt, gilt es dann, eben dieses Bild im Kopf aufzurufen.
Loch arbeitete mit einem Fußballtorwart zusammen, der unter dem Druck litt, der auf ihm lastete. „Er sagte mir, dass er wie eine Mauer sein möchte. Mit diesem Bild haben wir dann gearbeitet. Zu seinen Stärken zählen Reflexe, lautes Coaching, Führungsqualitäten und viele mehr. All diese positiven Eigenschaften haben wir zu Ziegelsteinen visualisiert, welche in dem Bild, mit dem wir arbeiten, jene Mauer bilden, die er verkörpern will.“ Die Begriffe landeten auch auf der Innenfläche seiner Torwarthandschuhe, ein Blick darauf half ihm während der Spiele.
Die international tätige Mentaltrainerin Dr. Rita Regös hat schon viele Athlet*innen und Teams für Olympische Spiele vorbereitet und dorthin begleitet. Sie weiß: „Wenn die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Nervosität gelegt wird, kann es kippen.“ Und wenn die Performance in Gefahr ist, muss eine Selbstwirksamkeit ins Spiel kommen. Heißt: Sie bereitet die Sportler*innen schon im Vorfeld auf verschiedene schwierige Situationen vor, die im Wettkampf auftreten können, damit sie dann aus eigener Kraft optimal darauf reagieren können. Mentale Stärke auf Abruf, wie bei Alex Honnold.
- Visualisiere deinen Erfolg: Nutze die Kraft der Vorstellung, indem du dir vorstellst, wie du deine sportlichen Ziele erreichst. Visualisiere den Erfolg, spüre die positive Energie und stelle dir vor, wie du Hindernisse überwindest. Diese mentale Übung kann dir helfen, dein Selbstvertrauen zu stärken.
- Setze realistische Ziele: Setze dir klare, erreichbare Ziele für dein Training und deine Wettkämpfe. Die Aufteilung deiner Ziele in kleine Meilensteine hilft dir, den Fortschritt zu erkennen und motiviert zu bleiben. Das Erreichen von Zielen trägt zur Steigerung deiner mentalen Stärke bei.
- Entwickle eine positive Einstellung: Kultiviere eine positive und optimistische Einstellung zum Sport. Fokussiere dich auf deine Stärken, sei geduldig mit dir selbst und lerne aus Rückschlägen. Indem du Herausforderungen als Chancen betrachtest, wirst du widerstandsfähiger und kannst besser mit Stress umgehen.
- Trainiere mentale Techniken: Integriere mentale Techniken wie Achtsamkeit, Atemübungen oder Meditation in dein Training. Diese Techniken helfen dir, den Fokus zu verbessern, Stress abzubauen und deine Konzentration zu steigern. Sie können auch helfen, Nervosität vor Wettkämpfen zu reduzieren.
- Baue ein starkes Umfeld auf: Umgebe dich mit Menschen, die dich unterstützen und motivieren. Suche nach Trainingspartnern, Coaches oder Mentoren, die dir in deiner sportlichen Entwicklung weiterhelfen. Gemeinschaft und Unterstützung können dir helfen, auch in schwierigen Zeiten mental stark zu bleiben.
Regös erinnert sich an eine Sportschützin, die sich in einer Wettkampfsituation von dem Geräusch eines rollenden Koffers im Hintergrund stören ließ. Sie wurde wütend, sowohl auf den Verursacher, aber auch auf sich selbst, weil sie sich ablenken ließ. Ihre Schüsse waren dementsprechend unkonzentriert.
„Diese Situation landete in einer Blackbox der eigenen Erfahrungen. Dann suchen wir nach anderen Eventualitäten, die andere Athlet*innen schon erlebt haben.“ Ziel: Für jede Situation soll sich in der Trickkiste das passende mentale Werkzeug finden lassen, das in einer schwierigen Situation weiterhilft.
Der Stellenwert von mentaler Stärke im Leistungssport habe sich in den letzten Jahren deutlich erhöht, sagt die sportpsychologische Beraterin Linda Rapp: „Weil einige Athlet*innen die Erfolge ihres psychologischen Coachings in ihren Social-Media-Kanälen teilen, wird auch anderen immer mehr bewusst, welchen Anteil der Kopf und insbesondere die mentale Stärke an der physischen Leistungsfähigkeit haben.“
Allerdings sei das Thema der mentalen Stärke oder des psychologischen und mentalen Coachings – anders als beim Freiklettern – bei weitem noch nicht in alle Sportarten vorgedrungen. „Da ist noch viel Luft nach oben.“
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