Wie viel ist ein Mensch als Arbeitskraft wert? Wer kann das schon genau sagen? Im Falle von Kasper Rorsted gab die Börse eine Antwort. Am 18. Januar 2016, dem Tag der Bekanntgabe seines Wechsels von Henkel zu Adidas, bewegte der Däne rund drei Milliarden Euro: Die Adidas-Aktie legte spontan um zwölf Prozent zu, die Inhaber-Vorzugsaktien von Henkel verbilligten sich zwischenzeitlich um fünf Prozent.
Ob diese hohe Bewertung Rorsteds, der am 1. Oktober offiziell die Führung des zweitgrößten Sportartikelherstellers der Welt übernommen hat, gerechtfertigt ist? Über den 54-Jährigen ist kaum Negatives zu vernehmen, die meisten Kommentatoren überschlagen sich vor Lob. „Kasper Rorsted Superstar“, schrieb die „FAZ“, der „Mann wie eine Maschine“ („Die Zeit“) hat sich den Titel „Margen-Magier“ („finanzen.net“) erarbeitet.
Der Rorsted-Effekt: Adidas-Aktie ist Dax-Spitzenreiter
Fakt ist: Die Erwartungen der Anleger an Rorsted sind riesig, die Vorschusslorbeeren ebenso. Seit Januar eilt die Adidas-Aktie von Rekord zu Rekord und hat ihren Kurs nahezu verdoppelt. „Im Rückblick sieht immer alles sehr rosig aus“, sagte der Manager schon 2010 mit Blick auf seine beeindruckende Karriere. „Ich habe manchmal das Glück gehabt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“
Bei Adidas scheint Kasper Rorsted genau richtig zu sein. Der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach steht vor einem Umbruch. Umstrukturierung und Digitalisierung, kein anderer ist wohl geeigneter für die großen Aufgaben des Konzerns als der gebürtige Däne, der neben Englisch auch Deutsch und Schwedisch fließend spricht und sich sein Studium in den USA teilweise durch harte Jobs selbst finanzierte.
Rorsted lebt seit 1991 in Deutschland, ist ehemaliger Handball-Juniorennationalspieler, leidenschaftlicher Skifahrer, Tennisspieler und Fußballfan – praktischerweise vom FC Bayern, dem Klub, an dem Adidas seit 15 Jahren zu zehn Prozent beteiligt ist. Rorsteds Frau lebt mit den vier gemeinsamen Kindern schon seit 2013 wieder in München. Insidern zufolge hatte sich seine Familie am Henkel-Standort Düsseldorf wenig heimisch gefühlt.
Zu Besuch bei Runtastic im Poloshirt
Mobilität ist für Manager Rorsted selbstverständlich, er lenkt die Konzernzentrale nicht vom Schreibtisch aus. Der Sohn eines Wirtschaftsprofessors sucht bewusst den Kontakt zu Mitarbeitern und Kunden. Statt Audienzen im Chefzimmer zu halten, macht er sich vor Ort sein eigenes Bild. „Um virtuell zu führen, muss ich meine Mitarbeiter persönlich kennen, auch wenn sie rund um den Globus verstreut sind“, erklärt Rorsted.
Das kommt bei den Mitarbeitern und Tochterfirmen gut an. Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner schwärmt vom Besuch seines neuen Chefs, der sich im September in Linz vorstellte, übrigens ganz leger im grauen Adidas-Poloshirt. „Was mir an Kasper Rorsted sehr gut gefallen hat, ist seine internationale Ausrichtung“, sagte Gschwandtner im Interview mit ISPO.com nach Rorsteds Besuch bei der Adidas-Tochter in Linz. „Er hat lange im Silicon Valley gelebt und einen sehr guten Weitblick.“
Den Innovationsgeist des Technologie-Mekkas trägt der Harvard-Absolvent Kasper Rorsted in sich – nicht nur wegen seiner Zeit an der US-amerikanischen Westküste bei Oracle, Compaq und Hewlett Packard. Vor zwei Jahren schnappte sich der Däne 20 Henkel-Führungskräfte und besuchte mit ihnen ein Dutzend Firmen in Palo Alto. „Henkel geht in die Schule des Silicon Valley“, titelte damals die „FAZ“.
Bei Adidas sind die Erwartungen groß, aber die ersten Quartalszahlen unter Rorsted, die das Unternehmen Anfang November veröffentlichte, machen Mut: 14 Prozent mehr Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal. Zweistellige Wachstumsraten in fast allen Märkten außer Russland. Der Anfang ist also gemacht. Mehr allerdings noch nicht.
ISPO.com nennt die fünf großen Herausforderungen, vor denen Kasper Rorsted bei Adidas steht.
1. Adidas profitabler machen
Die Drei-Streifen-Marke ist breit aufgestellt, auch Reebok sowie die Golfmarke TaylorMade und Eishockey-Marke CCM tragen zum ordentlichen Konzern-Umsatz in Höhe von 19 Milliarden Euro bei – sorgen jedoch weder für relevante Zuwächse noch Gewinne. An die Nettomargen von Nike (ca. 12 Prozent) kommt Adidas (ca. 5 Prozent) bei weitem nicht heran.
Die Adidas-Aktionäre wünschen sich von Rorsted, dass er das Portfolio strafft und den Konzern profitabler macht. Das bedeutet, dass Rorsted das machen soll, wovor Hainer lange zurückschreckte: bestimmte Sparten in Frage zu stellen. Immerhin ließ es sich Hainer nicht nehmen, Adidas' weitgehenden Abschied aus dem Golf-Geschäft einzuleiten: Für die Marken TaylorMade, Adams und Ashworth sucht der Konzern Käufer.
Bis 2020 hat sich Adidas ehrgeizige Ziele gesetzt: „Mit durchschnittlich etwa 15 Prozent pro Jahr soll unser Gewinn deutlich schneller wachsen als unser Umsatz.“ Dass Rorsted der Richtige dafür ist, hat er in seinen acht Jahren als Henkel-CEO bewiesen: Der Däne trennte sich von 80 Prozent der unterdurchschnittlich performenden Sparten, die Nettomarge des Konsumgüter-Riesen stieg von sieben auf über zehn Prozent.
Immer wieder kommen Spekulationen über eine Trennung von Reebok auf. Die Fitness-Marke erreicht elf Jahre nach seiner Übernahme durch Adidas weniger Umsatz (1,75 Milliarden Euro) als im ersten Geschäftsjahr unter Adidas-Führung (1,98 Mrd.).
Auch bei der Verkündung der Zahlen für das dritte Quartal des Geschäftsjahres 2016 hing Reeboks Umsatzwachstum (7 Prozent) dem der Marke Adidas (20 Prozent) deutlich hinterher. Es geht nur langsam wieder voran – zu langsam für „Beschleuniger“ Rorsted?
Was gegen eine Trennung von Reebok spricht: Damit würde Adidas auf einen Schlag mehr als die Hälfte seines wichtigen Nordamerika-Geschäfts einbüßen. Denn eigentlich soll Rorsted:
2. Anteile in den USA erobern, Under Armour abwehren
In den USA liegt Adidas hinter Nike und Shootingstar Under Armour nur noch auf Platz 3, der Marktanteil der Deutschen liegt im größten Sportartikelmarkt der Welt bei gerade mal fünf Prozent – eine unbefriedigende Situation. Analysten sagen, Adidas sei insbesondere bei Sponsorenverträgen mit Stars in den so wichtigen US-Sportarten Basketball, American Football und Baseball zu zögerlich vorgegangen.
Marktbeobachter meinen, dass sich Rorsted vor allem an den Fortschritten in den USA messen lassen müsse, damit Nike nicht noch weiter wegzieht. Die ersten Adidas-Maßnahmen – u.a. wurden Nike-Designer abgeworben und mehr in Marketing investiert – fruchten bereits. Die Kooperation mit Musik-Superstar Kanye West war teuer, aber ein großer Marketing-Erfolg; für die vom Rapper designten Schuhe standen die Menschen vor den Adidas-Shops Schlange. Die Zusammenarbeit wird unter der Marke Yeezy ausgebaut.
„Harte Arbeit und Hingabe sind nicht genug“, wirbt Adidas in einem Youtube-Video (siehe unten) um mutige Mitarbeiter und fordert: „Come on, ihr Freaks! Entfesselt eure Kreativität!“ Adidas erklärt auf seiner Investor-Relations-Seite: „Im Mittelpunkt von ‚Creating the New‘ steht das Ziel, unser Wachstum weiter zu beschleunigen, indem wir die Begehrlichkeit unserer Marken deutlich erhöhen.“
Adidas investiert in Influencer. Um junge Frauen für die Olympischen Spiele zu begeistern, lud der fränkische Sportartikelhersteller weibliche Social-Media-Stars in eine Villa in Rio ein. Und für die Zusammenarbeit mit NBA-Star Derrick Rose nahm Adidas viel Geld in die Hand: Der Vertrag mit einer Laufzeit über 13 Jahre soll auf rund 185 Millionen US-Dollar dotiert sein. Außerdem ist Adidas ab der Saison 2017/2018 sieben Jahre lang offizieller Ausrüster der US-Eishockey-Profiliga NHL.
Neben Nike muss sich Adidas in den USA mit Under Armour auseinandersetzen, die in Deutschland für Schlagzeilen sorgten mit dem Sponsorship beim Kultklub FC St. Pauli. Bisher bringt ihr Auslandsgeschäft nur 9 Prozent vom Gesamtumsatz des Konzerns. Under Armour will verstärkt auf dem deutschen Markt Fuß fassen. Viel Arbeit für Rorsted.
Redaktionelle Mitarbeit: Michael Wiemer
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