Vor genau 110 Jahren wurde der Verband des Deutschen Sportfachhandels (VDS) gegründet. Damals steckten Sportfachhandel und Sportindustrie noch in den Kinderschuhen, inzwischen sind sie ein Milliardengeschäft. Wichtige Entwicklungen für die gesamte Branche hat der Verband seither mit angestoßen – allen voran die Gründung der ISPO Munich, die in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum feiert. Mit ihr arbeitet der Verband als ideeller Träger und strategischer Partner noch heute eng zusammen, zuletzt beispielsweise beim Start des Digital-Readiness-Checks, mit dem Händler testen können, welchen „digitalen Reifegrad“ ihre Prozesse haben und wo ihr Unternehmen im Branchenvergleich steht.
Händler bei der digitalen Transformation zu unterstützen, ist ein wichtiger Fokus der aktuellen Verbandsarbeit – doch lange nicht der einzige. Stefan Herzog, Generalsekretär beim VDS und als Ex-SportScheck-Chef langjähriger Branchenexperte für Handel und Digitalisierung, nennt die wichtigsten Themen für die Zukunft der Branche.
ISPO.com: Der VDS feiert in diesem Jahr sein 110. Jubiläum. Wofür braucht der Sportfachhandel den VDS und womit beschäftigen Sie sich gerade?
Stefan Herzog: An dem Jubiläum kann man sehen, dass der Handel schon sehr lange Zeit erkennt, dass es wichtig ist, sich zu organisieren und im gemeinsamen Interesse zu handeln. So entstand beispielsweise auch vor 50 Jahren die ISPO Munich, weil viele Händler gesagt haben, wir brauchen eine Sportmesse. Der VDS kümmert sich nicht um das Warengeschäft, wie etwa die Einkaufsverbände, wir sind sozusagen die Klammer obendrüber, die dem Händler in schwierigen Zeiten beratend zur Seite steht. Ich bin vor etwa anderthalb Jahren angetreten, den VDS neu auszurichten. Wir verstehen uns als Dienstleister für den Mittelstand und wollen gemeinsam mit dem Handel die Zukunft gestalten.
Wo liegen derzeit die wichtigsten Aufgaben?
Wir arbeiten derzeit an vier Themenschwerpunkten. Allen voran natürlich das Thema Digitale Transformation. Wenn ich seit Jahrzehnten ein Geschäft ganz traditionell führe, stelle ich seit einigen Jahren fest, dass sich die Situation im Markt verändert hat. Nicht nur der E-Commerce ist dazu gekommen, es gibt heute auch ganz andere Möglichkeiten der Warenbeschaffung, der After-Sales Betreuung, man muss die Organisation komplett umstellen. Darauf muss der Handel reagieren, sonst bleibt er über kurz oder lang auf der Strecke. Wir haben deshalb früh angefangen Kompetenz-Teams in diesem Bereich aufzubauen, und den Digital-Readiness-Check entwickelt.
Welche Themen stehen für Sie derzeit noch ganz weit oben?
Die Wissensvermittlung im Handel über den vds-Super-Cup, den wir schon seit über 30 Jahren gemeinsam mit der Industrie ausrichten. Dabei geht es um Produktwissen, das wir den Händlern zur Verfügung stellen. Etwa 1.500 Verkäuferinnen und Verkäufer nehmen daran jedes Jahr teil, und die 40 Besten aus der Vorrunde werden zur Endrunde eingeladen. Wissensvermittlung liegt uns sehr am Herzen, weil wir wissen, dass der Mensch vor Ort tatsächlich den Unterschied ausmachen kann.
Außerdem beschäftigen wir uns stark mit dem Thema Zahlen, Daten, Fakten. Unser Markt glänzt nicht gerade durch Transparenz, was die Marktgröße insgesamt und die einzelner Segmente angeht. Wir haben überall riesige Spannweiten, je nachdem wo man schaut und wie man die Grenzen zieht. Mal wird der Sportmarkt auf acht Milliarden Euro beziffert, mal sind es dreizehn. Hier will ich zukünftig Klarheit schaffen.
Wie gehen Sie mit dem Thema Nachhaltigkeit um?
Das ist tatsächlich unser vierter Schwerpunkt. Es geht darum, mehr Transparenz in das ganze Thema zu bringen. Wir sehen derzeit viel Engagement im Markt, aber fast alles sind Insellösungen. Und die gilt es zusammenzubringen. Wir wollen eine Branchenlösung auf die Beine stellen, die allen Beteiligten hilft, mehr Vergleichbarkeit herzustellen. Es ist wichtig, diese Botschaft einfach und inhaltsreich zum Kunden zu transportieren, weil er dann erkennen kann, wie die Preise der Produkte zustande kommen. Daran arbeiten wir gerade gemeinsam mit allen Partnern und stoßen hier auch auf viel Unterstützung. Aber das geht nicht von heute auf morgen.
Sie haben den Digital-Readiness-Check schon angesprochen – wie geht es damit weiter?
Wir haben vor drei Jahren zusammen mit der ISPO Munich den Digital-Readiness-Check auf den Weg gebracht, weil uns die Entwicklung der Branche sehr am Herzen liegt. Das Thema ist natürlich ein Langzeit-Projekt, das uns noch die nächsten Jahre begleiten wird. Es geht darum, sich als Unternehmen in regelmäßigen Abständen selbst zu checken, um Schwachstellen aufzudecken, Fortschritt zu dokumentieren und neue Ziele zu definieren. Alle großen Unternehmen machen das übrigens auch so.
Was kam raus beim Check, und was hat sich seither verändert? Wie steht die Branche in Sachen Digitalisierung da?
In der ersten Phase zusammen mit ISPO kamen wir auf etwa 1.000 relevante Auswertungen. Das Ergebnis damals: Nur ein Drittel aller Händler in Deutschland beschäftigt sich überhaupt strategisch mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und hat einen Fahrplan für sich entwickelt, wie das Business in den nächsten Jahren weiter betrieben werden soll. Daran hat sich seither leider nicht viel verändert.
Wo genau liegen die Probleme?
Es gibt viel Beratungsbedarf. Sobald die Erkenntnis da ist, dass man handeln muss, ist auch die Organisation zu ändern, d.h. neue Leute müssen eingestellt werden, die neue Felder, wie zum Beispiel Online Marketing, betreuen. Das kann niemand machen, der Jahrzehnte nur klassische Werbung gemacht hat. Man muss sich darüber im Klaren werden, welchen USP man nach Außen vertreten will. Das hat eigentlich gar nichts mit Digitalisierung an sich zu tun, diese Frage muss ich mir als Händler schon immer stellen. Will ich nur einer von vielen sein oder einen speziellen USP ausspielen?
Es geht gar nicht darum, dass man auch einen Onlineshop eröffnet. Das können nur wenige professionell machen. Es geht darum, die eigenen Kunden zu verstehen und zu begleiten und dafür gibt es heute ganz andere Möglichkeiten als früher. Aber: Nicht nur die Sportbranche steht vor diesem Problem, viele Branchen machen gerade das gleiche durch.
Was raten Sie Ihren Mitgliedern?
Es gibt nicht die eine Lösung für alle. Aber einen Ratschlag kann ich jedem geben: Man muss sich mit dem Thema beschäftigen. Darauf zu warten, bis andere das für einen tun, wird nicht funktionieren. Alles weitere ist Detailarbeit. Und ich sage auch hier wieder: Ich muss als erstes für mich klären, wofür mein Geschäft stehen soll. Unter einer bestimmten Größe macht es heute keinen Sinn mehr, ein Gesamtsortiment abzubilden. Aber ein Lauf- oder Outdoorspezialist kann sehr gut funktionieren.
Was denken Sie: Wie wird der Handel der Zukunft aussehen?
Das ist natürlich die Gretchenfrage. Ich persönlich glaube absolut auch an den stationären Handel – trotz des riesigen Wettbewerbs durch den E-Commerce. Es gibt massig Luft und Platz für gute stationäre Formate, und ich glaube daran, dass sie eine Renaissance erleben werden. Dienstleistung wird zu einem sehr großen Thema werden, beispielsweise wie bei Lululemon, wo Yoga-Stunden mit dem stationären Laden verknüpft werden. Das ist gar nicht so neu – auch bei SportScheck gibt es die Stadtläufe schon viele Jahre. Es wird neue Formate geben, genauso wie das Thema Verleih von Produkten stetig zunimmt, weil es im Sport sehr gut anwendbar ist. Communities spielen eine zunehmend wichtige Rolle und der Sport ist dafür prädestiniert hier anzusetzen - andere Branchen tun sich da viel schwerer.
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